Ulrich Thelen

„Das ist ein Geben und Nehmen“


„Dr. Ulrich Thelen ist ein sportlicher Mensch. Etliche Sportarten hat er selbst aktiv betrieben – Tennis, Fußball und Basketball beispielsweise. Ob er als Jugendlicher auch mal daran gedacht hat, sich mit dem Boxen zu beschäftigen? „Nein, niemals“, lacht der 53-Jährige. Das sollte sich dramatisch ändern. Heute verantwortet Thelen ein Box-Projekt, das bundesweit Aufmerksamkeit und Anerkennung gefunden hat. Es war im Jahre 1978, als sich der damals 17-Jährige dem Telekom-Postsportverein Münster am Schifffahrter Damm anschloss. Und es dauerte nicht lange, bis er im Verein auch ehrenamtliche Aufgaben übernahm. Er gründete eine Basketball-Abteilung, leitete die Fußball-Abteilung und engagierte sich als Jugend-Trainer. „Das hat mir einfach Spaß gemacht“, begründet er sein Engagement, „und man profitiert auch selbst davon: Das ist ja ein Geben und Nehmen.“ Gerne zitiert er in diesem Zusammenhang einen Kollegen: „Der hat mal gesagt: Zu einer ganzen Persönlichkeit gehört so etwas dazu.“ Im Jahre 2003 hatte Dr. Ulrich Thelen – mittlerweile 1. Vorsitzender des Vereins – in seiner Augenarzt-Praxis einen ungewöhnlichen Patienten: Farid Vatanparast – ein gebürtiger Iraner, der bei einem Autounfall die Sehkraft seines linken Auges verloren hatte und deshalb die Hoffnung auf eine vielversprechende Karriere als Profi-Boxer begraben musste. Schnell verband die beiden sportbegeisterten Männer eine enge Freundschaft. Und 2006 gründeten sie gemeinsam eine Box-Abteilung, um gerade auch für Kinder und Jugendliche aus sozialen Brennpunkten ein Sportangebot zu schaffen. Nicht ganz ohne Bedenken, wie Thelen eingesteht: „Ob das gut geht?“ „Wir haben schnell gemerkt“, so sagt Thelen heute, „dass die Kinder mehr brauchten als das Boxen.“ So wurde für den Sport ein soziales Umfeld entwickelt, in dessen Mittelpunkt der Förderunterricht steht. Und beides ist eng miteinander verwoben: Nur wer für die Schule büffelt, darf auch boxen – und im Zweifel zur nächsten Meisterschaft mitfahren. Gegenwärtig besuchen mehr als 100 Kinder das Projekt, die meisten kommen „aus einfachen, oft schwierigen Verhältnissen“, rund 90 Prozent haben einen Migrationshintergrund. Und sie lernen dabei Tugenden, so Thelen, die im Sport und im Leben gleichermaßen gefragt sind: Pünktlichkeit, Disziplin, Respekt, Ausdauer. Das Projekt, das seit 2013 in einem eigens für diesen Zweck gebauten Sport- und Lernzentrum zu Hause ist (Kosten: rund 1,7 Millionen Euro), ist eine Erfolgsgeschichte. Viele junge Menschen haben dabei schon gewonnen. „Eines unserer Mädchen“, berichtet Thelen nicht ganz ohne Stolz, „ist Junioren-Europameisterin geworden, hat mittlerweile Abitur gemacht und studiert jetzt Architektur.“ Das alles hat auch höheren Ortes Beifall gefunden: Zwei Bundespräsidenten haben schon gratuliert, NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat die Schirmherrschaft übernommen. Und Ulrich Thelen sieht das Boxen heute mit anderen Augen: „Eigentlich ist das eine intelligente Sportart“, sagt er. Denn es gehe nicht einfach darum, dem anderen auf die Nase zu hauen. „Erstmal gilt es, nicht selbst getroffen zu werden.“ Dazu brauche man Schnelligkeit, Fitness, Disziplin, Koordinationsvermögen. Thelen: „Eine anspruchsvolle und individuelle Sportart.“

Wolfgang Schemann